Warum man eine Krise nicht instrumentalisieren darf



In diesem Moment wäre ich eigentlich auf einer Beerdigung. Und mit mir hunderte andere. Vor drei Wochen ist ein Freund verstorben, viel zu jung und viel zu tragisch. Leider weiß ich, wie wichtig eine Beerdigung und die Anteilnahme vieler Menschen für den eigenen Trauerprozess sind. Und dass es tröstet, wenn es viele sind, die für einen da sind an dem Tag. Dieser Moment wird seiner Familie fehlen. Aktuell sind Beerdigungen nur noch im kleinsten Kreis möglich.

Die vielen persönlichen Schicksale, die sich momentan entweder unmittelbar verursacht durch die Ausbreitung des Corona-Virus oder durch die deshalb gezogenen Konsequenzen entwickeln, machen mich sehr traurig.


Wieviel Leid einige Menschen derzeit ertragen müssen, ist kaum vorstellbar. Dieser ARD extra-Beitrag zeigt Ehepartner, die sich nach über 50 gemeinsamen Lebensjahren jetzt voneinander verabschieden müssen:

>> Video: Besuchersperre in Altenheimen - Sorge um Senioren


Die Auswirkungen dieser Krise sind extrem unterschiedlich und an diesem frühen Zeitpunkt absolut noch nicht in ihrer ganzen Tragweite zu ermessen. Die privaten Tragödien sind dabei besonders dramatisch. Vor fünf Jahren haben wir mit meinem Vater seine letzten Lebensmonate verbracht, immer in Angst, immer in Trauer, immer am Anschlag, aber - wann immer möglich - in jedem Moment gemeinsam. Dass das nicht selbstverständlich war und ist, wird mir erst jetzt so wirklich bewusst.


Kollektiv überfordert


Wir alle erleben eine Situation wie die jetzige zum ersten Mal. Überforderung im Umgang damit ist deshalb sicherlich legitim und nachvollziehbar. Und trotzdem können wir uns entscheiden, wie wir uns aktuell in dieser Krise äußern wollen.

Vor acht Jahren habe ich durch meinen Berufseinstieg den Weg in die Landwirtschaft gefunden. Studiert hatte ich vorher Germanistik und Musikwissenschaft, Berührungspunkte mit Landwirtschaft gab es bis dahin für mich nicht. Ich habe immer wieder gesagt, wie froh und dankbar ich über diese Lebenswendung bin. Was für tolle und besondere Menschen in der Landwirtschaft arbeiten.

Durch die letzten Jahre weiß ich auch, wie zermürbend und wie kräfteraubend die gesellschaftlich oft verzerrte Wahrnehmung eures Tuns, eurer Anstrengungen und eures Engagements für euch ist.
Und trotzdem empfinde ich die
Art und Weise, mit der Landwirte teilweise über sich selbst, über andere Berufsgruppen und über Themen sprechen, manchmal als problematisch. Auch wenn ich den Frust nachvollziehen kann: eine Basis für gute Kommunikation und für's Brücken bauen ist er nicht.


In den letzten Tagen sehe ich leider viele Beiträge und Kommentare aus der Landwirtschaft, die ich unpassend finde und die mich irritieren, um ehrlich zu sein.

Die Botschaft ist grob: "Vielleicht ist das das Gute an dem Virus, dass die Gesellschaft endlich mal wieder erkennt, wie wichtig heimische Landwirtschaft ist"

So instrumentalisiert man eine Krise und viele private Tragödien. Es ist für mich nur der Versuch, eine vermeintliche Gunst der Stunde zu nutzen, um eigene Themen unterzubringen. Alte (Macht- und Meinungs-) Kämpfe auszutragen.
Aber es gibt gerade keine Gunst der Stunde und das müssen wir anerkennen, vor allem die von uns, die das Glück haben, (bisher) nicht privat betroffen zu sein. Jede Kommunikation, die zum aktuellen Zeitpunkt versucht, von dieser Situation zu profitieren, ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die gerade unfassbares Leid erleben müssen.






Ich fühle mich der Branche, wenn ich solche Kommentare in diesen Tagen lese, wieder fremder und möchte genau deswegen die Chance nutzen, hier die Perspektive von außen zu teilen. Ich habe viele von euch erst kennen-, dann schätzen-, dann lieben gelernt. Ich bewundere euch, für eure Kompetenz, euer Wissen, eure Arbeit, eure Fürsorge, euren Humor, eure Mentalität.

„In der Krise beweist sich der Charakter“, hat der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt gesagt.

Bitte enttäuscht mich nicht. Bitte seid bescheidener. Seid dankbarer. Ihr sagt immer, dass die Landwirtschaft nicht nur euer Beruf ist, sondern eure Berufung. Ihr habt momentan das große Privileg, dieser Berufung weiter nachzugehen. Bleibt hier ehrlich und erkennt das dankend an, anstatt es kommunikativ in ein „Wir machen auch dann weiter, wenn alles still liegt“ umzudrehen. Niemand freut sich gerade über diese Zwangspause; für nicht wenige bedeutet sie ein berufliches Ende.

Es ist momentan ein Privileg, weitermachen zu können, und kein Opfer, das man bringt.

Wertschätzt auch die Arbeit anderer. Bedankt euch bei denen, die gerade im Rahmen ihres Berufes weiter über ihre physischen und mentalen Grenzen hinausgehen als ihr.
„Danke“ zu sagen, ohne ein „Danke“ zurückzuerwarten, nimmt euch nichts weg und macht euch nicht kleiner. Im Gegenteil.
Gönnt jedem, der gerade hilft und etwas beiträgt, Anerkennung, wenn er sie dafür erhält. Das bedeutet nicht, dass für euch nichts mehr übrig bleibt.

Respekt und Wertschätzung sind nicht limitiert und brauchen sich nicht auf.
Aber man muss sie sich verdienen.
                                                                                          
                                                                                         

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